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Kampf gegen Nazi: Eigenwillig möchte Vereinen Mut machen

FUSSBALL: Marcel Eigenwillig hat lange auf den Rauswurf eines Neonazis aus seinem Verein TuS Deusen gedrängt. Letztlich mit Erfolg. Uns hat er mit einem bisschen Abstand erzählt, wie die Zeit für ihn war. 

Deusen-Vorsitzender Marcel Eigenwillig hatte einen Neonazi in seinem Verein TuS Deusen. FOTO NÄHLE

Er ist doch so wie immer. So normal. So witzig. Marcel Eigenwillig sagt stolz, als er die Tassen heile zum Tisch in einem Dortmunder Café gebracht hat: „Siehst du, Eigenwilligs können es doch." Ja, der alte Gag von der Familientradition, dass kein Glas heile bleibt. Ein wenig tollpatschig seien sie alle, räumt er stellvertretend für die Mitglieder der bekannten Dortmunder Fußballerfamilie ein.

Er war vor einigen Monaten gar nicht wie immer, schon gar nicht tollpatschig. Und doch war er es wirklich. Marcel Eigenwillig, dieser selbstironische Kumpeltyp, schaffte es, einen kriminellen Neonazi aus seinem Herzensverein zu werfen. Wir treffen uns, um über sein Innenleben während der Geschichte zu reden, die aus einem ordentlichen Fußballer, den nicht zu mögen, äußerst schwierig ist, einen Vereinsvorsitzenden mit einem großen Problem machte. Eins, das er mit größter Beharrlichkeit, Konsequenz, Charakterstärke, Selbstlosigkeit und unglaublicher Zivilcourage löste.

Für den Autor des Textes ist Marcel Eigenwillig Dortmunds Fußballer des Jahres. Denn Marcel Eigenwillig (30), ein vordergründig ganz normaler junger Mann mit gutem Job und großem Herzen für den Sport, mitten in den Hochzeitsvorbereitungen, hat mehr geschafft, als seine Gegner zu umspielen oder viele Tore zu erzielen. Sein Gegner ging über die Gefährlichkeit eines kloppenden Verteidigers hinaus. Eigenwillig wusste erst nicht, dass er da war, aber er war eben da und wollte auch nicht so einfach weg.Und der Gegner war keiner, der sich am Ende nach dem Spiel per Handschlag verabschiedet.

Es muss ein Albtraum für Marcel Eigenwillig gewesen sein: 2020 war es noch eine Geschichte voller Zuversicht, auch von Mut, aber in einer viel unbedarfteren Version. Der Fußballabteilung seines TuS Deusen ging es nicht gut. Sie führte im Verein unseres gallischen Dorfes am Hafen" ein Schattendasein. Der A-Liga-Aufstieg von vor ein paar Jahren war schon fast in Vergessenheit geraten. Da kam Eigenwilligs Sandkastenfreund Tobias Walther auf ihn zu und fragte ihn, ob er sich nicht vorstellen könnte, Vorsitzender zu werden. Er konnte und wurde zu einem der jüngsten Präsidenten der Stadt.

Da er nicht möchte, dass hier ein reines Rührstück entsteht, kommt die Erinnerung an die Worte seines Vaters Frank, eines bekannten Trainers der Stadt, hoch. ,,Marcel ist der Rudi Zorn von Deusen." Rudi Zorn ist seit gefühlten Ewigkeiten mit Unterbrechungen Vorsitzender des FC Brünninghausen, wo Frank Eigenwillig Trainer war. Ja, es hätte eine so schöne Geschichte werden können. Eine Geschichte von einem jungen Mann im gallischen Dorf, das mit seinen idyllischen Einfamilienhäusern so gar nicht zum Hafen und seinem Image drumherum passt. Eine Geschichte von einem Mann, der den Fußball wieder voranbringt, der aber auch immer ein offenes Ohr für alle Abteilungen im Breitensport-Verein hat.

Nazi bei den Alten Herren

,,Ja. Natürlich habe ich in dieser Phase schlecht geschlafen. Ja, natürlich habe ich mir Sorgen um meine Familie, meine damalige Verlobte und heutige Frau gemacht. Und dieses Bedrohungsgefühl schwebt immer noch so latent über mir", sagt Marcel Eigenwillig über die schwierige Zeit. FOTO NÄHLE

Und dann kam ein Vereinsmitglied auf ihn zu und sagte: „Es gibt da ein Thema, ein Problem mit einem Mitglied der Alten Herren." Der neue Vereinschef musste gar nicht groß googeln, um zu erfahren, dass da einer im Verein kickt, der „in vorderster Front der rechten Terrorszene marschiert". Einer, der „Jahre im Bau saß“. Also keiner, von dem Eigenwillig ausging, dass er ja im Kern gar kein Verkehrter sei, der im Leben nach einer schweren Kindheit nur auf der falschen Spur abgebogen sei. „Mir war sofort klar: Den will ich nicht im Verein haben. Der ist kriminell. Und ich wollte gerne Vorsitzender eines toleranten Vereins sein. Schnell heißt es ja, du bist verantwortlich für einen Naziverein. Das hätte ich nie so stehen lassen wollen. Das Gute war: Der komplette Vorstand war ganz meiner Meinung und stand immer hinter mir."


Für den frisch gewählten Vorsitzenden gab es nur den einen Weg, einen anderen Weg, als den der vorige Vorstand gewählt hatte: „Die haben ihn toleriert, weil er sich ja im Verein nichts zu Schulden hatte kommen lassen. Das mag ja sogar sein, aber wer so kriminell ist, alleine schon so menschenverachtend denkt, hat für mich in einem vielfältigen Verein nichts zu suchen." Eigenwillig möchte gar nicht über seine Vorgänger richten. Er weiß zu gut, dass nicht jeder wie selbstverständlich seine berechtigten Sorgen um die eigene Unversehrtheit hinter das Verantwortungsbewusstsein stellt. Dazu kam, dass Teile der Alten Herren sich nicht glücklich mit dieser Form der Missbilligung eines Teammitgliedes zeigten.

Gerade ein paar Monate im Amt, spürte der junge Mann mit dem guten Willen ungeahnten Gegenwind, der weit über übliche Eitelkeiten von Abteilungen eines Vereins hinausging. So einfach war ein Rauswurf zudem nicht, da die Satzung einen Vereinsausschluss wegen einer Gesinnung nicht vorsah. „Wir hatten ihm sogar ein Gespräch angeboten. Denn wir verstecken uns nicht. Letztendlich war es der Druck aus dem Verein, aus dem viele positive Rückmeldungen für uns kamen, aber auch durch euch, die Medien, die ihn dann selbst zur Abmeldung brachten." Darin habe der Nazi ihn als „Minusmenschen" beschimpft. „Das ist übelster Nazi-Jargon, prallte in diesem Fall aber an mir ab, weil ich mein Ziel erreicht hatte."

Eigentlich, sagt Eigenwillig während des Termins, hatte er vorher überlegt, das Thema nicht wieder hochzubocken. Die Perspektive, dass viele andere Menschen mit ähnlichen Problemen von ihm lernen könnten, hatte ihn dann doch zum Gespräch gebracht. „Prüft eure Satzungen", appelliert er an andere Vereine. „Wir müssen jetzt auch erst ein-mal mit Zweidrittelmehrheit eine Extremismusklausel in unsere Satzung von anno tuck schreiben." Eigenwillig glaubt, dass dies im September gelingt. 

Fast kaum zu glauben: Einige Alte Herren haben tatsächlich den Verein verlassen. Aus Empörung darüber, dass ein krimineller Menschenfeind gegangen war. Aber: Auch darüber, was die Teammitglieder damals wussten und was nicht, äußert Eigenwillig sich vorsichtig: ,,Er hat ja ein Tattoo am Hals, das seine Gesinnung klar verdeutlicht. Aber auch ich hätte nie gewusst, wofür es stand." Heißt: Es mag ja sein, dass der eine oder andere nichts von der Brutalität des Spielers, der ja in Deusen aufgewachsen war, wusste. Spätestens aber, als Leute aus verschiedenen Abteilungen Eigenwillig davon berichteten, hätte es den Alten Herren die Augen öffnen müssen.

Verein für Offenheit

In den vergangenen Monaten haben viele Menschen im TuS Deusen, die ihren Verein und seine Offenheit lieben, wieder zueinander gefunden. Eigenwillig vergisst den Kummer und strahlt: ,,Da waren 400 Leute, fast das ganze Dorf." Es bedarf keines Psychologiestudiums, um zu erahnen, dass dieser heute aufrichtig unverstellt positive Mensch nicht doch Spuren dieser Geschichte in sich hat. Denn Eigenwillig ist doch so normal. „Ja. Natürlich habe ich in dieser Phase schlecht geschlafen. Ja, natürlich habe ich mir Sorgen um meine Familie, meine damalige Verlobte und heutige Frau gemacht. Und dieses Bedrohungsgefühl schwebt immer noch so latent über mir."

Es folgt der spannendste Teil der Geschichte: Jeder Mensch hätte verstanden, hätte der ahnungslose Jungvorsitzende nach Bekanntwerden des Problems schnell einen Rückzieher gemacht oder hätte später klein beigegeben, als die Satzung nicht griff. Was bewegt ihn, diesen normalen, witzigen, sympathischen Menschen, das Nicht-Selbstverständliche zu tun? „Das fängt mit meiner Erziehung an. Meine Familie, die immer zu mir hält, hat mir Werte vorgelebt und mitgegeben. Aber wir können auch über uns lachen, weil wir uns heiß und innig lieben." Marcel Eigenwillig erzählt das, als könnte es gar nicht anders sein bei den Eigenwilligs. Doch liegen Lachen und Rührung beim Zuhörer jetzt ganz eng beieinander. Und auf der anderen Seite bleibt nicht das Gefühl, dass die Menschen, die Marcel Eigenwillig gerne haben, ganz große Angst um ihn haben müssen.

,,Konsequent handeln"

,,Ich war mir immer bewusst, dass ich Verantwortung übernehmen wollte. Du fragtest nach dem Warum? Das ist meine Persönlichkeit. Ich ziehe nicht den Schwanz ein und sah keine andere Wahl. Wenn ich ein Amt habe, muss ich konsequent handeln. So bin ich. Ich sehe es sogar als meine Pflicht an, meinen Verein vor solchen Menschen zu schützen." Der Preis könnte hoch sein. Aber er weiß sich zu helfen. Rechtsanwälte, Organisationen mit Erfahrung im Kampf gegen Rechtsextremismus, Landessportbund und eben seine Lieben begleiteten ihn durch die schwierige Zeit. Noch so eine Lehre, die aus der diesem Gespräch hervorgeht: ,,Holt euch Hilfe!"

Das wirkt nach. Der ehrliche Marcel Eigenwillig geht beeindruckend offen mit der Geschichte um. Aber ihm liegt dann doch wieder am Herzen, über das zusprechen, was ihn aktuell bewegt. Dieses Treffen solle ja auch dem Verein dienen. „Unsere 1. Mannschaft bereitet mir Bauchschmerzen. Das ist die alte Zweite. Ich möchte aber auf keinen Fall, dass wir in die C-Liga absteigen. Dabei haben wir beste Bedingungen." Das klingt so normal. „Und ich hätte gerne, dass wir auch wieder A-Junioren haben. Alle anderen Altersklassen haben wir wieder besetzt." Wen sucht er? „Bei uns ist jeder willkommen. Hell, dunkel, groß, klein, dick und dünn.“ Eine klare Ansage an alle, die Vereine als Plattform für ihren Hass missbrauchen wollen.

Dann blitzt der „echte Eigenwillig" auf: „Und jeder darf auch mal Gläser umschmeißen." Die Augen verraten es: Eine lustige Geschichte möchte er auch noch loswerden: „Bei unserer Hochzeit haben alle Eigenwilligs ohne Glasbruch durchgehalten. Dafür warf eine Kellnerin ein ganzes Tablett mit Aperol Spritz um. Das muss unsere Aura sein. Vielleicht sollten wir sie adoptieren." Eigenwillig ist jetzt wieder so wie immer. So normal. So witzig. Das ist keine Fassade. So ist Marcel Eigenwillig. Aber er ist auch so mutig. So tapfer. Alexander Nähle