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Huckarder Legende aus dem Jahr 1930: Rufe aus der Gruft

Der Heimatforscher Peter G. Henning ist ein Archivar der Huckarder Geschichte. Am liebsten sammelt er Anekdoten aus dem Stadtbezirk. Diesmal geht es um einen echten Spuk.

Die Party um die Einweihung des Kriegerdenkmals an der Marienstraße war der Ausgangspunkt für eine humorige Huckarder Legende. FOTO ARCHIV

Eine Begebenheit die sich dem Vernehmen nach im spät weimarisch-republikanischen und doch noch ein wenig kaiserlich-bäuerlich anmutenden Bauernkaff Huckarde, zu Beginn der 1930er Jahre zugetragen haben soll.

Es war das Jahr, in dem die Gemeinde Huckarde ihr Krieger-Ehrenmal an der Marienstraße weihte, um an dieser Stelle stets ihrer Helden, der gefallenen Soldaten des Ersten Weltkrieges, zu gedenken.

Trommler, Pfeifer, Blaskapellen, Posaunen- und Kirchenchöre beider Konfessionen rahmten die Veranstaltung mit Hymnen, Chorälen und zünftiger Marschmusik. Alle Kinder im Dorf hatten natürlich schulfrei; die Gasthöfe Andrä, Hackelöer, Wibbeke, Baak etc. hatten sich vorsorglich mit Eisblöcken, Gerstensaft und Limonade reichlich eingedeckt um sich den Huckarder Lokalpatrioten als aufmerksame Mundschänke, ihre edlen Flüssigkeiten feilbietend, anzudienen.

Nach nicht enden wollenden, weihevollen Sonntagsreden ging es für die Feiernden in die Gaststätten. Und hier beginnt eine etwas skurrile Begebenheit, die sich die Altvorderen Huckardes noch bis in die 1950er Jahre erzählten:

Der Gasthof Wibbeke hatte seinerzeit noch zwei Stockwerke mit Mansarde und neben der Gaststube, zwei/drei Stufen höher, war da noch ein Saal mit einem für die damalige Zeit obligatorischen Pianoforte. Gaststube und Saal waren natürlich brechend voll. Lehrer, Pfarrer, Bauern, Ortsvorsteher kurz: alle Honoratioren und natürlich die gemeinen Leute gehörten heute mal allesamt zu den Zechern.

An diesem Tisch nahmen fünf, fünf, vielleicht so etwa sechs/sieben Männer platz. Angesagt waren heute Ordens geschmückte Uniformen, sonntägliche Gehröcke und festliche Vereinskluften. Man truglautstark dem Kellner seine Bestellungen auf und beschloss, ein wenig zu feiern.

Ein Fahrhauer von der Zeche „Hansa", Kaninchen- und Hühnerzüchter, stolzer Besitzer einer „Bergmanns-Kuh" und zugleich Dorf bekannter Taubenkasper-Vorstand, Heinrich Wilhelm Pachalla, von hünenhafter, vierschrötiger Gestalt, hockte wie gewohnt neben seinem guten Freund und Intimus, dem spindeldürren Huckarder Friedhofswärter, Valentin alias „Valli“ von Kampe, der auch einer der zwei ortsansässigen Totengräber vom Kommunalen Totenhof war.

Diese Beiden, und die übrigen Tischgenossen des Krieger- und Landwehrvereins Huckarde 1901 lästerten über den Streinmetz. Der hatte statt 1932 doch tatsächlich 1937 eingemeißelt.

Mit der Anzahl der Gerstensäfte, Weine und Schnäpse, letztere wurden seinerzeit oftmals aus großen Fuhrmanns-Pinchen gekippt, stieg auch die mehr oder minder frivole Redseligkeit der Tischnachbarn. Derbe Witze und anzügliche Sprüche machten, wie seit alters her, die Runde.

Irgendwann, es ging schon fast auf Schlag sechs, fing der Fahrhauer Heinrich Wilhelm Pachalla an, über eine für die Tischnachbarn im Nachhinein recht abenteuerlich anmutenden Begebenheit, zu plaudern.

Während der Overtüre herrschten bei ihm zunächst noch einige Skrupel, doch die verschwanden zunehmend infolge (s)eines leicht sich erhöhenden Schabau-Pegels. Ein kräftiger Schluck- und los ging's:

„Stellt euch vor", hob der Zechen-Fahrhauer Pachalla an, was mir vor etwa drei Monaten passiert ist. Aber nicht, dass ihr euch über mich lustig macht, Herrschaften!" Sekunden langes, ebenso beredtes wie erwartungsvolles Schweigen am Stammtisch...

„Von der Mittagsschicht kommend, so gegen dreiviertel elf, wollte ich, wie gewohnt, quer über ,n Kommunalfriedhof in Richtung „Ossenkamp" marschieren und strauchelte dabei in einen äußerst dürftig abgedeckten Grabaushub. Kopfüber, gefolgt vom Holzpegel, Wäschebeutel, Kaffee-Flasche und Butterbrot-Dose landete ich unglücklich auf meinem rechten Bein.

Mit offensichtlich gebrochenem Bein war es mir zunächst nicht möglich mich aus der Kuhle zu ziehen. Worauf ich, nach Luft ringend, mit unheimlichen Schmerzen, einige Zeit in der kühlen Erde verbrachte."

Was der Fahrhauer Pachalla nicht wusste: Kurz nach Beginn seiner Mittagsschicht hatte der Fiskus an der heutigen Urbanusstraße gegenüber des „Albert-Leo-Schlageter-Platzes" mit Bauarbeiten begonnen, die es dringend nötig machten, zwei ganze Gräberreihen, es mögen so insgesamt 10, vielleicht 12 Gräber gewesen sein, durch Exhumierung zu verlegen, da das Straßenbett laut Gemeinderatsbeschluss verbreitert werden sollte. Bis in die frühen Abendstunden hatten die ebenso fleißigen wie gewissenhaften Totengräber und Bauarbeiter es geschafft, ein paar Gräber zu öffnen, die Verblichenen zu exhumieren um schließlich ihre Gebeine allesamt wieder im Beisein eines Geistlichen würdevoll an anderer Stelle mit Gebet, Segen und Weihe unter die Erde zu bringen.

„Es war strenger Winter", wurde immer erzählt, und eben die Dunkelheit und eine dünne Schneedecke verbargen sämtlich vorgenommene Straßenbau- u. Grabearbeiten auf, am und neben dem Kommunalfriedhof. Eine unglückselige Gemengelage, die unter einer hauchdünnen Schneedecke verborgen auf ein Opfer zu lauern schien.

Es mag wohl so um Mitternacht gewesen sein, als es dem Bergmann endlich unter Aufwendung aller ihm noch verbliebener Kraftreserven gelang, mit Kopf und Schultern sich über den Grabrand zu hangeln um somit lautstark um Hilfe rufen zu können.

Just in dem Moment wo es ihm gelang auch seine Beine aus dem Grab nachzuziehen, gewahrte Wilhelm Pachalla eine ganz in Weiß gewandete Geistgestalt, ein schauriges Gespenst, das eiligst über den Kirchhof in Richtung Leichenhalle spukte, wqo es bald verschwand.

Von dieser unheimlichen Erscheinung in Angst, Schock und lähmenden Schrecken versetzt, stürzte Fahrhauer Pachalla wieder in das offene Grab zurück und kauerte abermals unter Schmerzen in der Erde, im weichen feuchten Lehm, und diesmal bis in die frühen Morgenstunden.

Erst bei Tagesanbruch, befreiten beherzte Männer der Baustellen-Rotte den verletzten, halb erfrorenen Bergmann.

Als Fahrhauer Pachalla mit seiner grausig-mitternächtlichen Friedhofsgeschichte endete, hob unvermittelt Friedhofswärter „Valli" von Kampe. Zu einer ebenfalls seltsamen Begebenheit an, die ihm ebenfalls vor gut drei Monaten nächtens widerfuhr:

„Valli" von Kampe bewohnte als Bediensteter des Totenhofes mit Frau und Kind eine kleine Wohnung im Hause knapp neben der Leichenhalle.

„Läuteten sonst die Glocken des ollen „Chronometers" an der Leichenhalle immer mit den Turmuhr-Glocken von Sankt Urbanus gleichzeitig, so versagten sie just in dieser Nacht ihren Dienst. Zeiger und Ziffernblatt zeigte wohl die exakte Stunde an, doch das Friedhofsgeläut schlug nicht mehr synchron dazu. Ein Grund mehr, dachte „Valli" bei sich, gleich morgen in der Frühe mit,na Kanne Öl sich ans Leichenhallen-Geläut zu machen.

„Während ich mich schnell wieder ins Haus zurück begeben wollte, es war ja bitterkalt draußen, sah ich eine Furcht einflößende, dunkle, Lehm verschmierte Gestalt aus eines der verdeckten Grablöchern kriechen.

Dabei erschrak ich so sehr, dass ich blitzschnell ins Haus sprang, die Tür zu sperrte, mein Bett aufsuchte, die Decke über den Kopf zog und so noch einige Zeit schlotternd ausharrte, bis mich dann endlich irgend wann die Müdigkeit übermannte.

Kurz nach dem Valentin von Kampe seine Geschichte beendete, herrschte zunächst sekundenlang beredtes Schweigen aller am Stammtisch hockender Zuhörer. Dann explodierte die Gaststätte fürmlich vor Lachen. Und eine Huckarder Legende war geboren.