Ich liebe dieses Bild. Wenn mich jemand fragen würde, welches ist das eine Bild, das du mit den Ruhr Nachrichten verbindest?“ - es wäre ohne Zweifel dieses. Ich weiß nicht, wer es gemacht hat. Ich weiß, wo es entstanden ist: im Parlamentarischen Rat in Bonn. Der Mann vorne rechts mit dem halben Haar, das ist Lambert Lensing, der Gründer der Ruhr Nachrichten. Es muss in den Monaten vor dem ersten Erscheinen der Ruhr Nachrichten aufgenommen worden sein. Der Parlamentarische Rat tagte von September 1948 bis Mai/Juni 1949 in Bonn. Lambert Lensing (18891965) gehörte zu den Mitbegründern der CDU in Westfalen. Mit seiner Berufung in den Parlamentarischen Rat wurde er zu einem der Väter des Grundgesetzes. Wir sehen lesende Männer. Dreiteiler, Krawatte, weißes Hemd. Zigarette, Aschenbecher, Aktentasche. Wir hören das Geräusch der schweren Schnallen. Zeitungen rascheln. Am meisten Bewegung strahlt die eine Frau im Hintergrund aus. Im Parlamentarischen Rat saßen 61 Männer und vier Frauen. Für mich ist das Bild ikonografisch. Hier wird das Fundament unseres Rechtsstaates gelegt und unsere Freiheit formuliert: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“ Im Schutze von Grundgesetz Artikel 5 erscheinen die Ruhr Nachrichten seit 75 Jahren.
1. Das ist die Dortmunder Stadtredaktion Anfang der 80er Jahre. Wer Redaktionen und deren Bewohner kennt, der sieht sofort: So sehen die nicht aus. Man hat sich chic gemacht. So rausgeputzt habe ich die 13 Männer und die drei Frauen nie gesehen.
Vorne sitzend von links: Aloys Reminghorst (Fotograf und Colani-Fan), Annette Feldmann (Kürzel boj, mit ihr habe ich gerade noch geschrieben), Britta Linnhoff (damals Raulf, sie ist heute noch bei uns), Sigrid Karhardt (Kulturredakteurin im Ruhestand). Links steht der Chef: Walter Hurck, ein genialer Geschichten-Erzähler, leider verstorben. Neben ihm Josef Schneck, der Presse-Chef beim BVB wurde, Rüdiger Eggert (Fotograf), Werner Stegmann (ging zur RAG, früh verstorben), Peter Fiedler (später für die RN in Lünen), Heinz-Hermann Horstendahl (kurz HHH, verstorben), Jürgen Appelhans (Fotograf), Dan Laryea (Fotograf im Ruhestand, aber immer nochmal für uns mit der Kamera unterwegs), Horst Thielbeer (Fotograf, verstorben), dahinter Pit Franz (als Stadtreporter eine Legende, auch verstorben), dann noch die beiden Fotografen Dieter Menne und ganz rechts Heinz Ewers.
Was halten die da in der Hand? Worauf sind sie stolz? Was ist Grund zur Freude? Wenn wir genau hingucken, sehen wir, es geht um die Abo-Auflagenentwicklung im 3. Quartal 1983. Die Kolleginnen und Kollegen sind stolz, dass sich die Ruhr Nachrichten (Linie oben) in der „Gruppe Dortmund“ besser entwickeln, als WAZ und WR zusammen. So sahen Sieger aus.
2. Der Internatsschüler Florian Lensing-Wolff liest die RN. In Bonn Bad-Godesberg gehörte er im Aloisiuskolleg zum Abiturjahrgang 1950/51. Gründer und Verleger der Zeitung ist sein Onkel Lambert Lensing. Etwa sechs Jahre nachdem dieses Foto entstand, begann seine Ära bei den Ruhr Nachrichten. 1965 übernahm Florian Lensing-Wolff dann nach dem Tode von Lambert Lensing die Leitung des Familienunternehmens. Als 34-Jähriger hatte er die Verantwortung für ein bedeutendes Medien-Unternehmen in Westfalen, das unter seiner Führung noch deutlich größer werden sollte. 1998 gab er den Staffelstab an seinen Sohn Lambert Lensing-Wolff weiter, der heute„Lensing Media“ im digitalen Zeitalter managt. „FLW“ starb 2011. Im Nachruf stand: „Wir nannten ihn den ,Alt-Verleger'. Und dies nicht nur, weil mit seinem Sohn Lambert seit 1998 auch ein junger Zeitungsverleger im Medienhaus Lensing tätig wurde, sondern auch, weil in dieser Bezeichnung stets Respekt, Achtung, auch Bewunderung mitschwang. Florian Lensing-Wolff war für seine Mitarbeiter und Wegbegleiter vor allem eins: Vorbild. Er war ein großer Zeitungsmann. Aus Leidenschaft. Und ein Mensch, der zuhören konnte.“ So werde ich ihn in Erinnerung behalten.
3. Der Mann an der Schreibmaschine ist Klaus Bäcker. Ältere RN-Leserinnen und -Leser unter Ihnen werden sagen: „Aaah, der Klaus Bäcker!“ Der Mann war der erste reine BVB-Reporter der Ruhr Nachrichten. Heute haben wir ein ganzes Team für die BVB-Berichterstattung. Sechs Kollegen, die nichts anders machen, als sich von morgens bis abends um den BVB zu kümmern. Allerdings nicht nur für die Zeitung. Für die machen sie täglich eine BVB-Seite und dann darüber hinaus sehr viel Digitales für rn.de.
4. Und dann setzte sich der Verleger selbst ans Steuer: Florian Lensing-Wolff erklomm den Sitz des Transporters und fuhr langsam los. Hinten im Laderaum die druckfrischen Zeitungen. Vor ihm die aufgebrachte Menge der Streikenden. So muss es gewesen sein. 1976. Das Foto dieses historischen RN-Moments ist erst Jahre später aufgetaucht. Detlef Kötter war bei dem Tumult dabei. Als junger Mann auf der Seite der Streikenden.„Damals war ich noch in der zweiten Reihe“, erinnert er sich. Detlef (66) wurde viele Streiks und Jahre später Chef unseres Produktion-Services. Und ist seit ein paar Jahren im Ruhestand. „Die Situation war brenzlig. Es ging um Knete. Um die 6 vorm Komma. Die Arbeitgeber hatten 5,9 geboten. Florian wollte sogar freiwillig 6 Prozent zahlen. Aber wir streikten trotzdem. Die Streikleitung hatte entschieden: Wir scheren da nicht aus!“ Wenn Detlef Kötter von „Florian“ spricht, den er stets mit „Herr Lensing-Wolff“ angesprochen hatte, dann schwingt Respekt mit. „Ich habe den Verleger bewundert, wie er reagiert hat. Völlig ruhig, ohne Emotion - und er hätte Grund gehabt, sich aufzuregen.“
5. Stellen Sie sich vor, Sie stehen Anfang der 50er Jahre mitten auf dem Westenhellweg und blicken auf das Verlagshaus der Ruhr Nachrichten. Rechts, dort, wo der kleine Lieferwagen steht, geht es in die Potgasse. Zur Orientierung aus heutiger Perspektive: Sie stehen mit dem Rücken zu „Anson's“. Unglaublich, wie frei und luftig dieser Innenstadtbereich Anfang der 50er Jahre war. So leer ist es auf dem Westenhellweg heute nur noch morgens um 6 Uhr. Ein VW-Käfer fährt in Richtung Bahnhof, die FDP warb auf Litfasssäulen mit aufsteigenden Buchstaben, wahrscheinlich für die Bundestagswahl 1953. Das Gebäude, auf das wir blicken, ist 1926 entstanden und nach dem Krieg bis 1951 wiederaufgebaut und erweitert worden. Das blaue Pressehaus, das heute direkt am Westenhellweg steht, entstand 1958. Markant ist der alte Schornstein über dem Dach. Den gibt's heute noch. Schornstein und Turm mit Wendeltreppe überdauerten den Krieg und sind heute mitten im hochmodernen Lensing-Carrée. Das wurde 2013 an Potgasse und Silberstraße eröffnet. Die Geschichte der Ruhr Nachrichten ist auch eine Geschichte der Pressehäuser. Wolfram Kiwit