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„Jede Begegnung bereichert“: Ein erfüllter Lebensweg - Ursula Höchstetter

Ursula Höchstetter engagiert sich seit vielen Jahrzehnten ehrenamtlich für andere Menschen. Der Umgang mit Jugendlichen und die vielen Gesprächspartner halten sie jung.

Ein (alkoholfreies) Hoch auf das persönliche Engagement! FOTO PRIVAT

Das Wichtigste zuerst: „Ich habe mich nie darum gerissen, zu helfen. Ich wurde immer dorthin geführt“, sagt Ursula (Ulla) Höchstetter (84). Ihr tiefer Glaube zeigt ihr den Weg, sie ist überzeugt, dass sie richtig geleitet wird und sie spürt, wenn sie gebraucht wird. Ein offenes Ohr und die grundsätzliche Freude daran, anderen etwas Gutes zu tun, sind die Basis des vielseitigen Engagements.

Ob alt oder jung, Professoren, Studenten, Kinder oder Obdachlose, Ulla Höchstetter fällt keine Urteile und zieht keine Grenzen.

Echte Freundschaften

Aus vielen Begegnungen sind lebenslange Freundschaften entstanden. Ehrensache, dass die Freundschaften und Beziehungen auch schwere Zeiten und Krankheiten überstehen. Vielen ist sie in existentiellen Situationen beigestanden, einige hat sie bis zum Tod begleitet. Der Umgang mit Krankheit, Verfall und Tod geht nicht spurlos an ihr vorüber. Aber sie ist immer überzeugt, dass dieser Weg vorgegeben ist und Gott ihr die dafür nötigen Talente und Fähigkeiten verleiht.

Zudem empfindet Ursula Höchstetter jedes Gespräch und jeden neuen Kontakt als Bereicherung und ist dankbar für die vielen Erfahrungen. Dankbar ist sie auch ihrem Mann. Er hat ihr Engagement abseits der Familie zu Beginn zwar kritisch gesehen, aber immer akzeptiert. Später hat er auch selber geholfen und konnte dann nachfühlen, wie erfüllend es ist, für andere da zu sein.

Offen durch die Welt

Ihr Rat nicht nur an Ältere: Mit offenen Augen und offenem Herzen durch die Welt gehen. Ruhig mal Fremde ansprechen, egal, wo man sie trifft. Interesse am Gegenüber zeigen und zuhören. So entstehen mitunter lebenslange Kontakte, die bereichern und die wiederum weitere Wege eröffnen. Das beweist ihre Lebensgeschichte. Die Engagements kamen immer aufgrund persönlicher Kontakte zustande.

Aus vielen Begegnungen sind lebenslange Freundschaften entstanden.

Jugendarbeit

Es begann mit der Klassenpflegschaft. Dann der Aufbau einer Gemeindebibliothek. Mit einem guten Freund initiiert sie Fahrten für 80 Jugendliche am Wohnort. „Dann kamen die Kinder von sich aus an und fragten, warum sie sich nicht regelmäßig treffen könnten. Und dann haben wir eben die ersten katholischen Jugendgruppen gebildet“, erzählt Höchstetter.

Ulla lernt Taizé-Musik kennen und ist Feuer und Flamme. Sie organisiert für eine Gruppe Jugendlicher die erste Taizé-Fahrt, kommt beseelt wieder und möchte dieses internationale, ökumenische Erlebnis mit „ihren“ Jugendlichen und allen, die dafür offen sind, teilen: 30 Jahre lang fährt sie regelmäßig mit „einem ganzen Bus voll junger Leute“ nach Taizé. Dort spricht sie ein Verbindungsbruder an, ob sie gemeinsam mit einem Musikstudenten die „Nacht der Lichter“ in Dortmund organisieren wolle. Die erste „Nacht der Lichter“ fand daraufhin in der Petrikirche statt. Es gibt sie nach wie vor jährlich im November.

Hospizarbeit

Die Mutter einer Taizé-Jugendlichen fragt, ob die tatkräftige Frau im Freundeskreis des Hospizes unterstützen wolle. Wenn nach Unterstützung gefragt wird, ist Ulla Höchstetter zur Stelle. Unvergessen der Kleiderbasar im Propsteihof, für den sie in den Bekleidungsgeschäften auf Osten- und Westenhellweg anfragte. Ursula Höchstetter kümmert sich selbst um ihre Mutter, daher ist eine Mitarbeit im Hospiz nicht möglich. Das heißt aber nicht, dass sie sich nicht mehr für andere Menschen engagiert.

Gasthaus statt Bank

Das nächste Engagement ist für Ursula Höchstetter eine Fügung Gottes. Schon zweimal haderte sie mit sich, als sie auf Obdachlose trifft und helfen will, aber nicht weiß, wie. Das erste Mal treffen sie die Augen eines Obdachlosen, als sie bei eisigem Wetter im Straßenverkehr unterwegs ist. Sie traut sich nicht, mit heißem Tee zu ihm zu gehen, hadert und bittet Gott, ihr zukünftig zu helfen, „das Richtige“ zu tun.

Die zweite Begegnung ist ebenfalls unbefriedigend: Sie sieht einen jungen Obdachlosen, der den Mülleimer durchsucht. Sie überlegt, zweifelt: „Wenn ich ihm jetzt Geld gebe, setzt er es in Alkohol um. Das kann ich nicht unterstützen. Aber wie kann ich helfen?“ Sie geht zum Bäcker und kauft ein aber der junge Mann ist bereits weitergezogen. Wieder eine falsche Entscheidung?

Die nächste Gelegenheit: Ein heruntergekommener Mann kommt auf sie zu, nimmt ihre Hand. Er wolle nicht betteln, nur reden. Sie bleibt, hört sich die ergreifende Lebensgeschichte des Mannes an. Ulla Höchstetter ist dankbar für den Einblick, wie die Welt aus der Sicht ganz unten aussieht. Zudem fühlt sie, dass sie in die richtige Spur gelenkt und geführt wurde. Sie ist mit sich zufrieden und glücklich.

Kurz danach liest sie einen Aufruf zur Unterstützung in der Obdachlosenhilfe. „Da wusste ich, ich bin gefragt. Da habe ich dann viele Jahre mitgearbeitet. Es ist natürlich traurig, wenn man das alles sieht. Aber es gab auch viele Gespräche mit den Menschen, wie sie auf diesen Weg gekommen sind. Meine Aufgabe war es, ihnen zuzuhören und ihnen freundlich zu begegnen.“

Es geht nicht nur ums Reisen. Ursprünglich Fremde werden unterwegs zu einer Gemeinschaft. Sie bleiben auch nach einer Reise in Verbindung und wirken so der Einsamkeit gerade im Alter entgegen.

Für andere da sein

Dass Ursula Höchstetter noch die „ganz normale“ Gemeindearbeit in der Gemeinschaft der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) macht, erzählt sie im Nebensatz. Sie wird in den Vorstand und zur Vorsitzenden berufen. Zeitgleich fängt sie wieder an, halbtags „richtig“ zu arbeiten, also gegen Gehalt. Zusätzlich spricht sie der Seniorenbeirat des Unternehmens an, ob sie nicht unterstützen wolle. Kein Problem für Ursula Höchstetter. Da sie auch für die Gemeinde Gruppenreisen organisiert, ist sie bereit, das auch für die Senioren zu tun. Dabei geht es nicht primär ums Reisen. Vielmehr ist es die Gemeinschaft der ursprünglich Fremden untereinander, die zusammenwachsen und auch nach einer Reise Verbindung halten und so der Einsamkeit gerade im Alter entgegenwirken. Ganz nach ihrer eigenen Lebenshaltung animiert sie die Reisenden dazu, die „dicke Chance“ zu nutzen, miteinander ins Gespräch zu kommen und sich kennenzulernen. Natürlich macht sie selbst das immer wieder vor, kommt mit anderen Reisenden ins Gespräch und erlebt einzigartige Momente und Begegnungen.

Aus vielen dieser zufälligen Begegnungen sind Freundschaften erwachsen. Und so kam es, dass sie einen ausländischen Gottesdienstbesucher ansprach, weil er nach der Messe sofort wieder ging, und als Antwort bekam: „Sie können nur Ursula sein.“ Die Auflösung: Er war Doktorand aus Burundi, ein anderer kenianischer Student und ein kasachischer Professor hatten unabhängig voneinander von ihr erzählt. Beiden hatte sie schon geholfen, beispielsweise, wenn es um eine Wohnung ging. Und so schloss sich mal wieder ein Kreis - wie so oft im Leben von Ursula Höchstetter.

Von Petra Zimmermann