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Singen: Abschied zu Hause

20 Jahre gibt es die "Letzte Reise“ von Marti Schruer schon

Vor der Bestattung müssen die Angehörigen Gelegenheit haben, sich von dem Verstorbenen zu verabschieden. FOTO GASS

Im Süden. Eines Tages saß Marti Schruer mit einigen Freundinnen zusammen, in heiterer Runde tauschte sich die Tischrunde über Traumberufe aus. Alle staunten, als Schruer von ihrem Traum erzählte: Bestatterin wolle sie werden, erklärte sie ihren Zuhörerinnen.

Diese Richtung hat sie später tatsächlich eingeschlagen, und dies auf eine Weise, die ebenso atemberaubend wie altertümlich ist: Die frühere Lehrerin aus Überlingen organisiert die häusliche Aufbahrung von Toten. Vor 20 Jahren gründete die heute 65-Jährige ihr eigenes Unternehmen „Letzte Reise“ in Singen, das die Aufbahrung in der eigenen Wohnung fördert, erklärt und begleitet.

So wie die meisten Menschen in ihrer vertrauten Umgebung sterben wollten, könnten sie dort auch aufgebahrt werden, sagt Schruer. Doch was einst normal war, ist längst ausgelagert. Heute melden sich die meisten Familien nach dem Tod gleich beim Bestatter, dessen erste Aufgabe es ist, den Leichnam schnell zu holen. In großen Kühlhäusern oder Zellen in Aufbahrungshallen findet ein buchstäblich kühler Abschied statt.

Schruer hält diese Entwicklung für verhängnisvoll. „Damit vergeben wir eine große Chance“, sagt die gebürtige Niederländerin: „Wir versäumen die Chance auf einen würdigen Abschied, dem wir viel Zeit geben.“

Sie sieht in der Hausaufbahrung eine „Schatzkiste“ und meint das wörtlich. Denn das Loslassen gelinge auf diese Weise deutlich besser als an einem fremden, gemieteten Ort.

Hausaufbahrungen sind auch gesetzlich erlaubt – die Höchstdauer regeln Landesgesetze. Die Verwesung, die viele fürchten, setzt nach 24 bis 48 Stunden ein.

Marti Schruer, die früher auch im Hospiz in Singen tätig war, hilft Angehörigen bei diesem fremd gewordenen Ritual. Sie vermittelt zwischen Bestattern, die sofort in Aktion treten, und der Familie. epd