Die Liste der gängigen Vorurteile ist lang: die harte Arbeit, schlechte Bezahlung, keine Aufstiegschancen oder auch die vermeintliche Gewissheit, dass es in späteren Jahren gesundheitliche Probleme geben werde – das öffentliche Bild des Handwerks ist zu Unrecht viel zu negativ und beschreibt oftmals noch Gegebenheiten, die schon seit vielen Jahren nicht mehr der Realität entsprechen. Und doch haben sie sich in der Gesellschaft festgesetzt und sind mitunter nur schwer zu revidieren.Das ist eine Herausforderung für das gesamte Handwerk, aber dieses öffentliche Bild hat natürlich auch einen Einfluss auf junge Menschen, die am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn stehen. Denn es gibt zahlreiche gute Gründe, sich für eine Karriere im Handwerk zu entscheiden.
Jemand, der das genau weiß, ist Dietmar Stemann, Ausbildungscoach bei der Kreishandwerkerschaft Hellweg-Lippe. „Ich sage immer: Man muss im Handwerk mit Kopf und Hand arbeiten“ erzählt der Ausbildungsexperte und erläutert dann schnell, was genau er damit meint. „Es ist eine Arbeit, bei der man sehen kann, was man mit den eigenen Händen geschaffen hat. Wenn man begreift, dass man mit der eigenen Arbeit Dinge erschafft, dann ist es eine tolle Erfahrung. Gleichzeitig ist jeder Auftrag aber immer wieder anders. Man hat Einzelfertigungen und muss sich dabei immer wieder darauf einstellen, was der Kunde möchte, und sich auf die Gegebenheiten vor Ort einstellen“, führt er die Vorzüge der Handwerksarbeit etwa im Vergleich zur Serienfertigung in der Industrie an.
Ein Entwicklungsprozess
Diese Erfahrungen sind Ergebnisse und auch Begleiterscheinungen eines Prozesses, der sich die gesamte Ausbildung über durchzieht. „Es ist natürlich erst einmal ungewohnt aus dem schulischen Lernen zu kommen und sich dann umgewöhnen zu müssen, aber im Zusammenspiel mit den älteren Kollegen kommt man da schnell rein und dieser Workflow hilft dann dabei, sich immer weiter zu entwickeln. Wenn sie dann zum Beispiel im dritten Lehrjahr alleine einen hochwertigen Auftrag erledigen, sind viele Auszubildende erstaunt, wie gut sie sich entwickelt haben“, beschreibt Dietmar Stemann die Faszination der eigenen Entwicklung im Laufe der Handwerkzeit.
»So viele Aha-Effekte findet man nur im Handwerk.«
Dietmar Stemann, Ausbildungscoach der Kreishandwerkerschaft Hellweg-Lippe
Diese Faszination macht dann nicht nur vor der persönlichen Entwicklung der Handwerksneulinge halt, sondern erfasst auch diejenigen, die sich näher mit der Vielfalt im Handwerk befassen. „Ich nehme als Beispiel einfach mal die Stuckateure. Da denkt man dann erst einmal, dass der Beruf einfach nur daraus besteht, die Ornamente anzubringen und Wände zu verputzen. Aber wenn man sich dann näher damit beschäftigt, dann sieht man, was da eigentlich alles noch zugehört. Stuckateure müssen auch Bereiche wie den Brandschutz oder Lärmschutz kennen“, erläutert Dietmar Stemann.
Entdeckungen dieser Art, die sich in jedem Handwerk machen lassen, sind für den Ausbildungscoach ein großer Pluspunkt des Handwerks. „So viele Aha-Effekte findet man nur im Handwerk“, macht er Werbung dafür, sie selbst einmal zu erleben. „Wir sind nicht das finstere Handwerk, das in dunklen Werkstätten sitzt und an dem nichts modern ist. Wir bieten hochwertige Arbeit und stellen uns gleichzeitig immer wieder neuen Herausforderungen“, spricht Dietmar Stemann die immer wieder unter Beweis gestellte Wandlungsfähigkeit des Handwerks an.
Die Gewerke passen sich immer wieder an
Denn obwohl viele Gewerke auf eine lange Tradition zurückblicken, musste sich das Handwerk immer wieder neuen Gegebenheiten stellen. Neue Werkstoffe zählen da ebenso zu wie neue maschinelle Unterstützung, aber auch äußere Faktoren. „Unsere Stärke ist, dass wir uns immer wieder anpassen können. Wer heute mit der Errichtung eines Dachstuhls beauftragt ist, der muss in Sachen Sturmsicherheit ganz anders denken als früher. Da kommt dann das Thema ‚Mit Kopf und Hand arbeiten‘ wieder ins Spiel“ erklärt der Ausbildungscoach.
Profitieren kann man von diesem großen Erfahrungsschatz und dem Wissen des Handwerks auch dann, wenn man eigentlich andere Berufsziele verfolgt. „Mit der Ausbildung habe ich natürlich einen großen Vorteil: Egal, was noch kommt, bin ich safe, weil ich bereits eine gute Grundlage habe. Diese Grundlage hilft mir dann zum Beispiel im Studium. Zum einen habe ich die Sicherheit, dass ich etwas in der Hinterhand habe, sollte das Studium kein Erfolg sein. Zum anderen nehme ich aus der Ausbildung wichtige Grundfertigkeiten mit.“
Konkretisieren lässt sich das anhand des Beispiels eines zukünftigen Architekten. „Es geht ja nicht nur darum, dass das Haus später hübsch aussieht, die Statik ist ja auch immens wichtig. Ich wenn im Vorfeld eine Ausbildung zum Zimmermann oder Tischler absolviert habe, dann habe ich mich genau damit befasst. Ein Tischler, der sich mit Treppenbau beschäftigt, wo Belastungen eine wichtige Rolle spielen, der lernt natürlich auch viel über Statik.“
Und so sammeln sich die guten Gründe für eine Ausbildung in den verschiedenen Handwerksberufen. Bevor man da jedoch durchstartet, empfiehlt der Ausbildungscoach Praktika im Vorfeld. „Man muss sich auch mal trauen, etwas auszuprobieren und da ist ein Praktikum ideal“, erläutert Dietmar Stemann. Im besten Fall werden die dort gewonnenen Erfahrungen der Startschuss für eine Karriere in einem der vielfältigen Handwerksberufe.