Als sich 1986 ein Naturschutzverein für den Cappenberger Wald und gegen den Bergbau starkgemacht hat, bekam Martina Schmidt von Boeselager – Kunst- und Biologielehrerin und arbeitslos – eine Stelle über eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in der Waldschule Cappenberg. Sie sollte Kinder- und Jugendarbeit im Naturschutz aufbauen.
Sie ist damals mit Schulklassen und Kindergruppen in den Wald gegangen und hat sich unter anderem um die rote Waldameise – eine geschützte Spezies – gekümmert. Aus dieser sehr bodenständigen Arbeit der Waldschule ist mittlerweile eine Einrichtung geworden, die global denkt und lokal handelt. Die wichtige Themen angeht, deren Bedeutung Martina Schmidt von Boeselager und ihr Team den Menschen näher bringen, damit sie gesellschaftlich an Relevanz gewinnen und wichtige Zukunftsfragen gelöst werden.
Um Existenz gekämpft
Zwischen 1986 und 2024 liegen 38 Jahre, in denen die Waldschule Cappenberg um ihre Existenz gekämpft und gleichzeitig eine hochprofessionelle Entwicklung der Bildungsarbeit von der Waldpädagogik über die Umweltbildung zu den derzeit wichtigen Zukunftsfragen, der Bildung zur Nachhaltigkeit, vollzogen hat. Sie hat sensibilisiert für die Natur, für ein Bewusstsein der Menschen für die Bedeutung von intakter Natur und verantwortungsvollem Umgang mit ihr, heute mit der Perspektive auf die Welt, aber auch für sich selbst. Wer glaubt, eine solche Einrichtung, die Aufgaben erfüllt, die für uns alle wichtig sind, sei ein Selbstläufer gewesen, irrt, wie Martina Schmidt von Boeselager erzählt. Das Gespräch kurz vor ihrem Eintritt in den Ruhestand ist ein Rückblick. Aber auch ein Ausblick. Denn auch, wenn Martina Schmidt von Boeselager bald nicht mehr Chefin der Waldschule ist, wird ihre Arbeit und die ihres Teams in die Zukunft wirken.
Aus der kleinen Waldschule Cappenberg am Brauereiknapp auf dem Gelände des Grafen von Kanitz ist das Regionalzentrum Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) für den Kreis Unna geworden. Das Regionalzentrum hat sich der Agenda 2030 und den 17 nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen verschrieben. Dazu zählen unter anderem Themen wie die Maßnahmen zum Klimaschutz, nachhaltige Städte und Gemeinden, Gesundheit und Wohlergehen, hochwertige Bildung sowie bezahlbare und saubere Energie. Die Waldschule Cappenberg ist quasi der Motor im Kreis Unna, der den Menschen diese Ziele lokal nahebringt. Es ist ein regelrechtes Netzwerk, das Martina Schmidt von Boeselager und ihr Team aufgebaut haben. Mittlerweile bekommt die Waldschule eine Landesförderung als Sockelfinanzierung für ihre Arbeit. Das sah in den fast vier Jahrzehnten auch mal ganz anders aus.
Gehälter bezahlen
„Wir wussten in manchen Jahren im Oktober nicht, wie wir die Gehälter bezahlen sollten“, sagt die Chefin der Waldschule. Zwar steuerten die Städte Werne, Selm und Lünen Jahr für Jahr einen Betrag bei. Aber die Höhe war auch abhängig von der Haushaltssituation der Kommunen. Ansonsten finanzierte sich die Waldschule durch die Einnahmen aus den Teilnehmendengebühren. „Es gab aber auch immer Menschen und Einrichtungen, die uns unterstützt haben.“ Sprich: Die Waldschule erhielt Spenden. Was aber die finanzielle Situation alles andere als stabil machte.
2016 dann eine wichtige Wegmarke: „Als Vorsitzende der Umweltzentren in NRW habe ich partnerschaftliche Gespräche in Ministerien geführt. Dort ist angekommen, dass Umweltbildungseinrichtungen wie die Waldschule Cappenberg eine Sockelfinanzierung benötigen.“ Mit dieser Landesförderung haben die Waldschule und das Team Sicherheit gewonnen, „dass wir auch mal über ein Jahr hinaus gucken können“. Die drei Kommunen Selm, Werne und Lünen steuern mittlerweile kein Geld mehr bei, stattdessen gibt es einen Zuschuss des Kreises Unna.
Und so müssen Martina Schmidt von Boeselager und das Team nach wie vor kreativ sein, was Finanzierungsmöglichkeiten, aber auch die inhaltliche Ausrichtung betrifft. Diese Fähigkeit zieht sich durch fast 40 Jahre Waldschule Cappenberg. In all diesen Jahrzehnten ist die Chefin nicht müde geworden, die Arbeit mit den Menschen und für die Menschen mit ihrem Team weiterzuentwickeln.
Und so ist es nicht verwunderlich, dass die 65-Jährige kurz vor ihrem Ausscheiden nach wie vor für die Sache brennt. Partner finden, Netzwerke aufbauen, der Versuch, ein Lernorte-Netz des Kreises Unna bis 2030 aufzubauen Lernorte in jeder Kommune des Kreises Unna zu etablieren – Aufgaben, die sehr zukunftsorientiert sind.
„Unsere Arbeit der Umweltbildungseinrichtungen und der Regionalzentren ist immer noch nicht als Teil der Bildung definiert, wie es zum Beispiel die Volkshochschulen und Schulen sind. Wir haben diesen Standard einfach noch nicht.“ In diesem Wörtchen „noch“ spiegelt sich der unbedingte Wille, das zu verändern, dass außerschulische Bildung als gesellschaftliche Aufgabe definiert und anerkannt wird.
„Ich hatte immer die Fähigkeit, nach vorne zu schauen, das Schiff Waldschule am Laufen zu halten“, sagt Martina Schmidt von Boeselager. „Wir haben uns immer wieder neu erfunden. Ohne das Team wäre das nicht möglich gewesen. Wir sind immer auch mutig gewesen.“ Was aber auch mitentscheidend dafür ist, dass die Waldschule alle Höhen und Tiefen gemeistert hat, ist, dass das Team und die Angebote nah an den Menschen waren und sind. Generationen haben bei den Kindergruppen mitgemacht. Erwachsenenangebote orientieren sich an gesellschaftlichen Notwendigkeiten, tragen dazu bei, Themen, die auf der ganzen Welt wichtig sind, lokal direkt in die Herzen und das Bewusstsein der Menschen zu bringen.
Ab dem 1. Januar 2025 ist Martina Schmidt von Boeselager nicht mehr Chefin der Waldschule. Ganz weg ist sie dann aber nicht. Dem Trägerverein der Waldschule mit Selms Bürgermeister Thomas Orlowski an der Spitze habe sie angeboten, Sonderaufgaben weiter zu übernehmen. „Die neue Geschäftsführung wird viel mit der Alltagsarbeit zu tun haben. Ich habe angeboten, die Bereiche Landesförderung mit Abrechnungen und Berichten wie auch die BNE-Zertifizierung weiter zu betreuen und langsam abzugeben.“ Ihr Motto: „Ich wachse heraus, um andere hineinwachsen zu lassen.“ Wachsen sei kein Abbruch, sondern ein Prozess. „Ich würde die Waldschule ganz gern noch ein Stück weit begleiten. Ich gehe in den Unruhestand und möchte eine Lebensweise weiterführen, die ich jetzt habe.“
Mehr als die Hälfte ihres Lebens hat Martina Schmidt von Boeselager mit der Waldschule und für die Waldschule gelebt. Was mit der roten Waldameise begann, ist eine Lebensaufgabe geworden. Die Waldameise gibt es mittlerweile in der Region um Selm nicht mehr. Die Waldschule Cappenberg als BNE-Regionalzentrum für den Kreis Unna hat überlebt und ist gerüstet für die Zukunft. „Ich hinterlasse einen florierenden Betrieb.“ Martina Schmidt von Boeselager hinterlässt Spuren.
Kontakt zur Waldschule
Wer Kontakt zur Waldschule Cappenberg, dem BNE-Regionalzentrum für den Kreis Unna, Am Brauereiknapp 17, in Cappenberg, aufnehmen möchte, kann das unter Tel. (02306) 5 35 41 tun. Bürozeiten: Montag bis Donnerstag von 9 bis 16 Uhr, Freitag von 9 bis 15 Uhr.
› Alles zum Programm der Waldschule Cappenberg gibt es online unter: www.waldschulecappenberg.de