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09 Meilensteine - Eine verrückte Saison

Donyell Malen glücklich strahlend (oben) und mit Selbstzweifeln beschäftigt (unten): Wenige BVB-Spieler verkörpern die Achterbahn-Saison der Borussia so sehr wie der Niederländer.  FOTO DPA

Borussia Dortmund greift am Samstag nach dem Titel. Mit einem Heimsieg gegen Mainz 05 kann der BVB die neunte Deutsche Meisterschaft klarmachen. Sie wäre das Resultat einer furiosen Aufholjagd seit Jahresbeginn. Die schwarzgelbe Saison war geprägt von vielen Höhen und Tiefen. Wir haben alle wichtigen Meilensteine noch einmal zusammengefasst.

1 Der Terzic-Appell: Die Saison unter Marco Rose liegt zehn Tage zurück. All der Trübsinn, all der Missmut über die verkorkste Spielzeit ist binnen weniger Stunden wie weggeblasen. Borussia Dortmund gibt am 24. Mai 2022 die Rückkehr von Edin Terzic auf den Cheftrainer-Posten bekannt und sorgt damit für einen umgehenden Stimmungswandel. Befeuert wird er von Terzic selbst. Der 40-Jährige wendet sich noch am selben Tag mit einer emotionalen Video-Botschaft und einem eindringlichen Appell an die BVB-Fans. Fünfmal beschwört er darin einen schwarzgelben Superlativ.

„Lasst uns so hungrig sein wie noch nie. Lasst uns so hart arbeiten wie noch nie. Lasst uns auch so positiv sein wie noch nie. Und am allerwichtigsten: Lasst uns so laut sein wie noch nie", sagt Terzic. Dann sei er sicher, dass wir die große Chance haben, zu feiern wie noch nie".

Nun, ein Jahr und drei Tage später hat der BVB wirklich die Chance zu feiern wie noch nie. Terzic und sein Team greifen am Samstag nach dem Titel. Es könnte auch so laut werden wie noch nie, wenn es wirklich klappt mit der neunten Deutschen Meisterschaft. Die Saison aber beginnt mit einem Moment der Stille.

2 Der Haller-Schock: Gerade erst hat die Mannschaft die Vorbereitung in Bad Ragaz aufgenommen, da macht die schockierende Nachricht die Runde: Im Trainingslager in der Schweiz wurde bei Sebastien Haller ein Hoden-Tumor festgestellt. Der von Ajax Amsterdam verpflichtete Angreifer reist für weitere Untersuchungen umgehend ab. ,,Diese Nachricht war ein Schock für Sebastien und uns alle. Die gesamte BVB-Familie wünscht Sebastien, dass er schnellstmöglich vollständig gesund wird und wir ihn bald wieder in die Arme schließen können. Wir werden alles in unserer Macht Stehende dafür tun, dass er die bestmögliche Behandlung erfährt", betont der Sportdirektor Sebastian Kehl.

Neben dem menschlichen Schicksal hadert der BVB-Sportdirektor zusätzlich damit, dass in Sebastien Haller eine im Angriff fest eingeplante Säule ausfällt. Ersatz muss her. Drei Wochen später holt der BVB Anthony Modeste.

3 ,,Brutal dämlich" beim 2:3 gegen Bremen: Kurz zuvor sind die Schwarzgelben mit einem 3:0 im DFB-Pokal bei 1860 München und einem 1:0Sieg in der Bundesliga gegen Bayer Leverkusen erfolgreich in die Saison gestartet. Es folgt ein 3:1Erfolg beim SC Freiburg. Die Stimmung ist gut, dann kommt das Heimspiel gegen Werder Bremen und mit ihm der erste herbe Dämpfer der noch jungen Saison. Der BVB führt bis zur 89. Minute mit 2:0. Die nächsten drei Punkte liegen abholbereit auf dem Gabentisch. Den aber räumt Werder leer, weil Dortmund einen grotesken Einbruch erlebt. Binnen sechs Minuten kassiert der BVB drei Gegentore und verliert mit 2:3. Wie wir uns die Tore fangen, ist brutal dämlich und brutal ärgerlich", gibt Edin Terzic zu Protokoll. Es sind Sätze, die sich in den kommenden Monaten noch wiederholen sollen, weil seine Mannschaft insbesondere in der ersten Saisonhälfte immer wieder in dieselben Muster verfällt und Beständigkeit zum Fremdwort wird.

Drei Siege ohne Gegentreffer gegen Hoffenheim, Hertha BSC und in der Champions League gegen Kopenhagen lassen die Pleite gegen Bremen als Ausrutscher erscheinen. Doch schon beim Topspiel gegen RB Leipzig zeigt der BVB die nächste haarsträubende Leistung. Es ist das Debüt von Ex-BVB-Coach Marco Rose, der bei den Sachsen gerade für den glücklosen Domenico Tedesco übernommen hat. Roses rote Bullen drehen auf, die Borussia hechelt hilflos hinterher - 0:3. Auf der BVB-Geschäftsstelle schrillen zum zweiten Mal die Alarmsirenen.

4 Spätes Comeback gegen die Bayern: Mit einer starken Vorstellung bei Manchester City (1:2) und durch den 1:0-Derbysieg über Schalke 04 gelingt es vorerst, die Gemüter zu beruhigen. Das furiose Comeback im Spitzenspiel gegen die Bayern versöhnt die Fans auch mit der 2:3-Pleite in Köln, die die Borussia in der Woche zuvor kassiert hat. Der BVB holt gegen den Rekordmeister im Signal Iduna Park einen 0:2-Pausenrückstand auf. In der fünften Minute der Nachspielzeit bringt Anthony Modeste das Stadion mit seinem Premierentreffer für Dortmund zum Beben. Es sind 90 Minuten, die zeigen, zu was diese Mannschaft imstande ist. 90 Minuten, die Hoffnungen wecken, dass der BVB diesmal wirklich dazu in der Lage ist, den zuletzt häufig übermächtig erscheinenden Münchnern die Stirn zu bieten.

5 Die Frage nach der intrinsischen Motivation: Doch schon eine Woche später macht die 0:2-Niederlage Überraschungstabellenführer beim Union Berlin jegliche aufkeimende Euphorie wieder zunichte. Der BVB lädt die Eisernen mit grotesken Schnitzern und unerklärlicher Sorglosigkeit in der Defensive regelrecht ein. Edin Terzic sitzt später konsterniert in der Pressekonferenz. Während Union-Trainer Urs Fischer gefragt wird, ob seine Elf wirklich das Zeug dazu habe, Meister zu werden, geht es für Terzic und den BVB darum, sich erst einmal zu sortieren. Das angekratzte Selbstverständnis wird kurz darauf weiter ramponiert. 

Zwar gewinnt der BVB in der zweiten Runde des DFB-Pokals bei Hannover 96 (2:0). Die Mannschaft ist dem Zweitligisten aber über weite Strecken unterlegen und gibt erneut Rätsel auf. Edin Terzic, der seinen Profis bislang Rückendeckung gegeben hat, stellt sie öffentlich an den Pranger. Er vermisse „eine gewisse Form von intrinsischer Motivation" bei seinen Spielern. Es brauche die Bereitschaft, wiederkehrende Fehler endlich abzustellen.

Die Kritik des BVB-Cheftrainers scheint anzukommen. Die Mannschaft holt drei Bundesliga-Siege in Folge und drei Unentschieden in der Königsklasse, womit sich der BVB fürs Achtelfinale qualifiziert. Noch zwei Siege, dann ist Winterpause. Doch dieser Plan geht nach hinten los. Beim VfL Wolfsburg (0:2) und bei Borussia Mönchengladbach (2:4) folgen zwei Debakel, die die Schwächen der Mannschaft schonungslos aufdecken. Nach diesen Offenbarungseiden ist der BVB im Mittelmaß angekommen. Neun Punkte trennen ihn zum Jahresende von Spitzenreiter Bayern.

6 Richtige Lehren in der Winterpause: 72 quälende Tage muss sich der BVB dieses unbefriedigende Tabellenbild in der wegen der WM in Katar besonders langen Winterpause anschauen. Sechs Niederlagen nach 15 Partien - zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft zum Jahreswechsel eine gewaltige Lücke. „Lasst uns so hart arbeiten wie noch nie." Edin Terzic erinnert sich und die Seinen an die vor einem halben Jahr ausgesprochenen Worte. Und das Team liefert. Die Analyse der Defizite fällt schonungslos aus, die Aufarbeitung der Defizite umso akribischer.

„Was genau Edin Terzic und sein Trainerteam da ausgetüftelt haben, kann ich nicht sagen. Es funktioniert auf jedem Fall", konstatiert Youssoufa Moukoko Mitte Mai im Interview mit den Ruhr Nachrichten. Eine seriösere Verteidigungs- und eine kompromisslosere Offensivarbeit stehen nun ganz oben auf der Agenda. Als besonders effektiv erweist Edin Terzics Kniff, Donyell Malen und Karim Adeyemi die Seiten tauschen zu lassen. Fortan entwickeln die beiden Flügelstürmer eine zuvor nicht gekannte Wucht, die sie mit enormer Durchschlagskraft paaren.

7 Siegesserie stärkt Selbstbewusstsein: Der Jahresstart gegen Augsburg (4:3) und Mainz (2:1) gerät noch holprig. Aber: Sebastien Haller feiert sein überraschend schnelles Comeback. Nach überstandener Chemotherapie und Reha kehrt der Ivorer zurück auf den Rasen und nährt damit die Hoffnungen auf eine adäquate Alternative zu Youngster Youssoufa Moukoko. Anthony Modeste hat sich derweil nicht als erhoffte ihm Verstärkung entpuppt, bleibt nur die Reservistenrolle.

Den hart erarbeiteten gegen Augsburg und schließt sich eine furiose Aufholjagd an. „Jetzt geht es darum: Sind wir bereit, den nächsten Schritt zu gehen? Oder machen wir jetzt weniger? Müssen wir in zwei Wochen wieder darüber reden, dass wir Punkte aufholen müssen? Oder bleiben wir mit dem Fuß auf dem Gaspedal und machen genau so weiter?", betont Edin Terzic nach dem 2:0 gegen Leverkusen. Siegen Mainz

Die Schwarzgelben bleiben auf dem Gaspedal: Freiburg (5:1 / inklusive Premierentreffer von Sebastien Haller), Bremen (2:0), Hertha (4:1), Hoffenheim (1:0), Leipzig (2:1) der BVB nimmt in der Liga jede Hürde. Genauso wie im DFB-Pokal (2:1 gegen Bochum) und in der Champions League (1:0 gegen Chelsea). Das Champions-League-Aus gegen Chelsea (0:2) und das 2:2 im Derby auf Schalke sind zwar unnötig, aber nach dem 6:1-Triumph über Köln kapert der BVB die Tabellenspitze, weil die kriselnden Bayern in Leverkusen straucheln. Der Rekordmeister beurlaubt daraufhin Julian Nagelsmann. Thomas Tuchel übernimmt.

8 Die Selbstzweifel sind zurück: Rechtzeitig vor dem Showdown in München ist die Borussia in Topform. Es folgen die vielleicht bittersten fünf Tage der Saison. In der Allianz Arena wähnt sich der BVB vor Anpfiff auf Augenhöhe. Nach 90 Minuten und einer 2:4-Klatsche gegen die Bayern schleicht er auf Kniehöhe vom Rasen. Im Pokal-Viertelfinale setzt es bei RB Leipzig den nächsten Tiefschlag. Das 0:2 fällt aus Dortmunder Sicht noch schmeichelhaft aus. Der BVB ist nur ein Sparringspartner.

Zwar kehrt er gegen Union Berlin (2:1) in die Spur zurück, doch schon beim 3:3 in Stuttgart erlebt die Mannschaft den nächsten Albtraum. Zur Halbzeit liegt der BVB mit 2:0 vorne und ist nach einer Ampelkarte für Mavropanos in Überzahl. Doch es ist eine trügerische Selbstsicherheit, in der er sich wiegt. Die abstiegsbedrohten Schwaben kommen in der Schlussphase zum 2:2-Ausgleich, ehe Gio Reyna in der Nachspielzeit zum 3:2 (90.+2) für den BVB trifft. Doch auch das reicht nicht aus, weil Stuttgart in der 97. Minute noch zum 3:3 kommt. „Es ist schwer, Worte dafür zu finden. Wir dachten, dass wir das Dümmste in dieser Saison schon erlebt haben mit der Niederlage gegen Werder Bremen als wir bis zu 88. Minute noch mit 2:0 geführt hatten. Aber das hier heute toppt das Ganze noch", brodelt Edin Terzic. Zwei Tage später geht der BVB in die Offensive. Sportdirektor Sebastian Kehl wird deutlich: „Wir wollen Deutscher Meister werden."

9 Bayern kriselt, BVB greift nach dem Titel: Dennoch ist er einer der Ersten, die ihre Niedergeschlagenheit in Trotz umwandeln. „Ich habe vor der Saison gesagt: Wir müssen so positiv sein wie noch nie. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt dafür", betont der BVB-Trainer. Noch mal straffen, noch mal aufrappeln. Weil die Bayern ihrerseits die schwerste Krise seit Jahren durchmachen, übernimmt der BVB nach dem 4:0 gegen Frankfurt abermals die Tabellenführung. Die Fans singen: „Wer wird Deutscher Meister? BVB Borussia." Doch mit dem 1:1 in Bochum müssen die Schwarzgelben Platz eins wieder an die Bayern abdrücken. In der Rolle des Jägers sitzen sie ihnen nun im Nacken: 6:0 gegen Wolfsburg, 5:2 gegen Mönchengladbach. Am vorletzten Spieltag patzt der Rekordmeister gegen Leipzig (1:3), während der BVB in Augsburg (3:0) gewinnt und damit wieder an die Spitze springt. Nun hat Dortmund alles in der eigenen Hand. Und: Der BVB ist zu Hause eine Macht. Das soll am Samstag auch Mainz 05 zu spüren kriegen. Die Deutsche Meisterschaft ist zum Greifen nah. Es dürfte laut werden. Womöglich so laut werden wie noch nie.

Von Cedric Gebhardt

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