Wenn die Eltern Schausteller sind, dann ist es naturgemäß vorgezeichnet, dass die Kinder die Tradition übernehmen. Oder? Willi Ottens, Sproẞ einer traditionsreichen Schausteller-Dynastie, macht zunächst Karriere in der Finanzbranche. Doch eine Achterbahn lockte ihn zurück auf die Reise.
Herr Ottens, die Schaustellerfamilie Ottens gibt es seit über 150 Jahren...
Ja, das ist richtig. Meistens finden sich die Pärchen ja auch auf der Reise. Und meine Mutter ist die zweite Generation, väterlicherseits bin ich schon die sechste Generation Ottens.
Sie haben zunächst eine Bankausbildung gemacht.
Meine Eltern haben immer viel Wert auf unsere Ausbildung gelegt, schon für den Fall, dass es nicht mehr weitergeht mit der Schaustellerei. Es gibt ja für Schausteller mehrere Möglichkeiten, wie man die Schulbildung gestaltet: Die Kinder gehen am Kirmesort zu Schule. Das ist sehr anspruchsvoll, weil es ständigen Schulwechsel bedeutet. Manche Kinder gehen ins Internat.
Bei uns war es familiär geregelt. Mein Opa und meine Oma, ebenfalls Schausteller, haben sich zur Ruhe gesetzt. Meine Eltern haben ein Haus gekauft und wir sind praktisch bei Oma und Opa aufgewachsen. In den Ferien haben wir unsere Eltern dann besucht. Meine Schwester war bei der Polizei und ich selber habe den Weg in die Bank gefunden und war da zehn Jahre. Es war aber so, dass wir nie ganz weg von der Schaustellerei waren. Ich hatte eine Firma mit meinem Vater zusammen, wir haben Service-Dienstleistungen für Schausteller angeboten. Ein Geschäftspartner hat eine Achterbahn verkauft. Ich habe mir dann überlegt, es wäre schade, wenn die Achterbahn wegginge. Das war 2019, da war ich Anfang 30. Ich war da an einer Kreuzung und dachte mir, das wäre jetzt eine Gelegenheit, du kannst das, finanziell und mit der Familie hinter dir. Schaustellerei ist schon grundsätzlich ein schönes Leben. In der Bank hatte ich oft ein bisschen Heimweh.
Sie sind mit dem Chaos-Pendel jetzt das erste Mal auf der Sim-Jü. Waren Sie vorher schon mal mit einem anderen Fahrgeschäft hier oder ist das eine Premiere?
Für mich selber ist es eine komplette Premiere. Meine Eltern waren vor 30 Jahren bereits als Betriebsleiter der Firma Fritz Kinzler auf der Sim-Jü.
Bereitet man sich dann auf einen neuen Kirmesplatz irgendwie besonders vor oder ist das letzten Endes Business as usual?
Also in der Regel sind die Vorgaben der Stadtverwaltungen bindend. Für mich selber ist es eher Business as usual, weil man eigentlich immer damit klarkommen muss, dass man auf neue Plätze kommt, wo man die aktuelle Bebauung so noch nie gesehen hat. Also auch wenn man auf einen bekannten Platz kommt, ändert sich ja die Bebauung.
Was für Herausforderungen erwarten Sie? Als Laie denkt man, Sie kommen mit Ihrem Fahrgeschäft, bauen das auf, lassen das vom TÜV abnehmen und dann...
Vom TÜV abgenommen sind die Anlagen immer. Es gibt immer eine große Jahresabnahme. Und auf den Festen selber, da gibt es dann Anweisungen, wie Sie ein Geschäft aufzubauen haben. Und das überprüft entweder auch der TÜV oder das Bauamt vor Ort.
Das Chaos-Pendel ist technisch sehr beeindruckend. Es hat eine Höhe von 47 Metern, Geschwindigkeit von 80 km/h und 4G an Beschleunigung. Wie reagieren da die Besucher?
Wir betreiben das Chaos-Pendel jetzt seit vier Jahren. Die Fahrt ist absolut einzigartig. Es ist so, dass es in dieser Propeller-Dimension und dieser Dynamik das einzige transportable Geschäft auf der Welt ist. Über 40 Meter, Looping und Zentrifugalkräfte, G-Kräfte von 4,5 G. Es hat zwei Achsen und eine elliptische Fahrweise. Normalerweise haben Propeller immer eine kreisrunde Fahrweise. Dadurch, dass wir die zweite Achse haben, haben wir eine zweite Kreisbewegung, die sich mit der anderen Kreisbewegung überlagert.
Und da haben Sie immer wieder die Be- und Entschleunigung. Da kommt natürlich allein durch eine gleichbleibende Kreisbewegung auf beiden Achsen eine ungeheure Beschleunigung auf die Gondel, die auf den Besucher wirkt. Und auch das Schaukel- und Loopingverhältnis ist chaotisch, auch jede Fahrt ist anders. Das ist einzigartig. Einen einzelnen Propeller, den kennen Sie eigentlich schon, wenn Sie einmal mit einem solchen Fahrgeschäft gefahren sind. Eigentlich ist das immer eine kreisrunde Fahrt. Es ist schnell, aber es ist gleichmäßig. Und das haben sie beim Pendel nicht. Das Pendel ist wirklich eine actionreiche Fahrt. Das sehen auch die Besucher. Die Leute stehen staunend vor dem Geschäft.
Kann jeder damit fahren?
Für die Fahrt gibt es die Mindestgröße von 1,40 Meter und bestimmte Gesundheitsanforderungen. Sie dürfen beispielsweise keine Wirbelsäulen-Schäden haben. Das haben wir aber alles genau beschrieben und plakatiert.
Können Sie persönlich sich vorstellen, dass es etwas noch spektakuläreres als Ihr Chaos-Pendel gibt?
Die Grenzen bestimmt die Statik. Wenn man jetzt noch spektakulärer sein möchte, das würde ja höher, schneller oder noch intensiver bedeuten. Das bündelt ja alles in G-Kräften und diese G-Kräfte müssen irgendwie abgefangen werden. Dann muss man wieder schwerer bauen. Ich bin mit dieser Anlage auch logistisch an der Grenze. Ich habe vier Transporte für diese Anlage. Das ist dann auch irgendwann eine Preisfrage. Und wenn man jetzt noch schwerer baut, dann wird darauf hinauslaufen, dass man wieder Schwertransporte hat. Größere Fahrzeuge, schwerere Fahrzeuge. Und das ist wieder eine Kostenfrage. Und dann muss man schauen, wenn die Fahrt noch intensiver wird, wie viele Fahrgäste kann man noch mitnehmen. Das ist dann auch wieder eine Kostenfrage. Ich kann mir eine Steigerung nur schwer vorstellen.
Wie sehen Sie die Zukunft der Schaustellerei? Sind Sie optimistisch?
Grundsätzlich bin ich positiv, weil die Volksfeste etwas einmaliges bieten. Dennoch gehen in allen Branchen schon im Moment Zukunftsängste herum. Als Unternehmer muss ich gucken, wie ich mit der Inflation umgehe. Die meisten Menschen verdienen mehr Geld als vor vier Jahren, aber haben auch höhere Kosten. Damit hat aktuell jede Branche zu kämpfen.
Und natürlich bietet der Schausteller eine Dienstleistung an, die vielleicht, wenn das Geld knapp ist, auch mal verzichtbar ist, dann spart man sich vielleicht eine Tüte Mandeln oder eine Karussellfahrt. Und da müssen wir halt genau abwägen, welcher Preis noch zumutbar ist für den einzelnen Besucher. Man guckt schon immer, dass es für alle passt, dass es für unsere Besucher ein Erlebnis ist, das aber auch noch in den Geldbeutel passt.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, für sich persönlich und für Ihr Geschäft, was wäre das?
Dass die Familie weiter so zusammen ist, wie wir das aktuell haben. Und dass das Geschäft so weitergeht wie in den letzten Jahren. Wir hoffen, dass wir, die Veranstalter und natürlich die Fahrgäste weiterhin diese Atmosphäre mit diesem Fahrgeschäft genießen dürfen.
Das Interview führte Petra Zimmermann